Friedhof Zingst
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Lebensläufe von in Zingst bestatteten Bürgern
Grabstelle 1541
Rottraut Reichardt (1907-1989)
Meine Erinnerungen
von Heidi Mehte, Zingst

Schon seit meiner Kindheit kann ich mich an die Schwestern Rottraut und Mechthild Reichardt erinnern. Sie wohnten im "Rosenhaus" im Kavelweg in Zingst. Sie waren nicht nur leibliche Schwestern, sondern auch gelernte Kinderkrankenschwestern, die in ihrem "Rosenhaus" schon vor dem Krieg ein kleines Kinderheim betrieben. Kinder aus ganz Deutschland wurden dort betreut, besonders aus dem Ruhrgebiet. Mit Interesse habe ich bei Schwester Rottraut alte schwarzweiße Fotos aus der Zeit betrachtet, und sie selbst schwelgte in Erinnerungen.

Rosenhaus 1936 und 2011Fotos rechts: Das Rosenhaus 1936 und 2011

Aus gesundheitlichen Gründen zog Schwester Mechthild ins Erzgebirge in eine Pflegeeinrichtung. Beide Schwestern waren und blieben ihr Leben lang ledig und ohne Kinder.

In den 1970iger und 1980iger Jahren wirkte Schwester Rottraut in der Zingster Kirchengemeinde. Vor allem denke ich an die Gottesdienste am Heiligabend, wenn sie so schön die Weihnachtsgeschichte vorlas, sichtlich stolz und gerührt.

Aber Schwester Rottraut war auch sehr bemüht, ihr schönes, altes, romantisches "Rosenhaus" zu erhalten. So kam es, dass sie meinen Mann bat, bei ihr zu malern. Auf diese Weise entwickelte sich zwischen meiner Familie und ihr ein sehr freundschaftliches Verhältnis, das bis zu ihrem Tod 1989 anhielt. Ich erinnere mich besonders gern an die Kaffeenachmittage in der Advents- und Weihnachtszeit bei ihr. Unsere ganze Familie war immer begeistert von dem so liebevoll und weihnachtlich geschmückten Wohnzimmer! Jedes Jahr freuten wir uns alle, besonders unsere Kinder. Eine wunderschöne heimelige Atmosphäre erwartete uns, ein reichlich gedeckter Tisch mit vielen Leckereien, Kaffee, Kakao. Oft kam der Treff aber auch erst nach Weihnachten zustande, natürlich mit dem Tannenbaum und "echten" Kerzen! Keine Lichterkette – das mochte sie gar nicht! Unsere Kinder hatten am Ende des Besuches die Aufgabe, die fast niedergebrannten Kerzen mit einem altmodischen Kerzenlöscher auszumachen – ein besonderer Spaß!

Im Frühjahr schaffte mein Mann sich dann an ihrem großen Haus – die Überstände und Holzteile mussten gestrichen werden u.v.m. Er war ihr oft eine große Hilfe, die sie dankbar annahm. Viele Jahre war Schwester Rottraut unsere Stammkundin – mit Familienanschluss sozusagen. Im "Rosenhaus" gab es so viel zu bewundern – allein das „Spielzimmer“ hatte es unseren Kindern angetan. Was gab es da alles zu sehen! Autos, Puppen, Puppenstuben und Zubehör, Teddys, Kaufmannsladen usw. Sicher stammte das alles aus der Zeit, als dort noch Kinder betreut wurden. Aber Schwester Rottraut hatte selbst noch großen Spaß daran – ich glaube, sie spielte ab und zu in einem stillen Stündchen mal ein bisschen damit!

Dann die vielen alten Möbelstücke, Schränke, Stühle, Sofas, Tische, Sessel ... Und die tollen, in allen Größen vorhandenen Ölgemälde - wahre Kunstschätze. Ich bewunderte vor allem das schön bemalte Porzellan, das jemand aus der Familie in vielfältiger Weise gestaltet hatte. Das "Rosenhaus" war gut erhalten – eine Augenweide mit dem großen Garten, mit alten Bäumen umgeben. Ein Kletterrosengang führte von der Pforte bis zur Haustür, wo ein Vorbau mit Sitzmöglichkeit war. Links am Haus befand sich eine Veranda, die aber nur im Sommer genutzt wurde. Hinter dem villenartigen Haus befand sich das Nebengebäude mit Toilette und ein gepflasterter Hof. Dort fielen mir diverse Waschständer und Nachttöpfe auf – Überbleibsel aus den Kinderheimtagen. Oft sagte sie zu mir: "Wenn Sie etwas schön finden und es mal haben möchten, sagen Sie es ruhig. Ich schreibe das auf und wenn ich nicht mehr bin, bekommen Sie es." Das war mir aber so peinlich, nie hätte ich mich getraut. Doch ein kleines Ölgemälde hatte ich in mein Herz geschlossen: "Abendruhe" – dieses brachte mir ihr Bruder nach ihrem Tod in einem kleinen Stoffbeutel eines Tages nach Hause. Ist das nicht rührend? Am Bild klebte hinten ein Zettelchen: "Für Frau Mehte, Kirchweg, bestimmt. Rottraut Reichardt." Auch eine Karte von ihr aus dem Jahre 1986 habe ich aufbewahrt mit dem Text: "Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer l. Familie. Ihre Rottraut Reichardt."

Die Karte: "Frühlingsanfang"

Der trübe Winter ist vorbei,
Die Kranich' wiederkehren.
Nun reget sich der Vogelschrei,
Die Nester sich vermehren.

Friedrich von Spee

Ich erinnere mich, dass Schwester Rottraut Patentante von den Düsterhöft-Zwillingen war. Der Papa Horst Düsterhöft war bei ihr Untermieter als Saisonmoderator in der Kurhausbar. Die ganze Familie besuchte uns oft nach dem Sonntagsgottesdienst. Herr Düsterhöft, der auch beim NDR beschäftigt war, stürzte leider mit seinem Segelflugzeug ab und fand den Tod.

Doch alles hat seine Zeit – die Vergangenheit und die Erinnerungen bleiben. Ein schlichtes Kreuz existiert noch auf unserem Friedhof mit ihrem Namen und den Daten 1907-1989. Das "Rosenhaus" ist längst weg, kaum findet man noch Spuren aus alten Zeiten. Kein Baum, kein Strauch, keine Rosen – nur eine alte, knorrige Kastanie an der Grundstücksgrenze könnte sicher vom Leben und Treiben im "Rosenhaus" viel erzählen ...

Schwester Rottraut mit ihrem ansteckenden und herzlichen Lachen und die Begegnungen mit ihr werden wir nie vergessen.

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